Objektiv betrachtet ist das neue Queen-„Album“ (natürlich) nichts als Kommerz: 36 bekannte Songs verteilt auf zwei CDs, deren Remaster-Versionen sich, da man die Songs ohnehin schon hunterfach im Ohr hatte, nicht bahnbrechend von den Original-Recordings unterschieden. Hinzu kommen die als Daseinsberechtigung für die Scheibe zu diskutierenden drei „neuen“ Songs: ‚There Must Be More To Life Than This‘, die Zusammenarbeit mit Michael Jackson, ist für Komplettisten (und für Kinder der 70er und 80er) fraglos interessant, musikalisch aber nun nicht wirklich originell (‚It’s A Hard Life‘ kann als Blaupause herhalten). ‚Love Kills‘ ist mit seinen typischen Queen-Harmoniefolgen ganz nett, gegenüber manch früheren Großtaten aber eher Durchschnitt. ‚Let Me In Your Heart Again‘ schließlich ist ein Relikt aus den Sessions zum 1984er „Works“-Album. Weshalb es der Song damals nicht aufs Album geschafft hat, liegt bereits nach wenigen Takten klar auf der Hand, handelt es sich doch im Großen und Ganzen um nichts anderes als eine simplifizierte Variante des großartigen ‚Hammer To Fall‘; die Gitarren-Licks sind teilweise sogar fast mit denen von ‚Hammer To Fall‘ identisch.
Und dennoch: Ich kann mir nicht helfen: Sobald Freddie Mercury singt und der typische Brian-May-Gitarrensound aus den Boxen schillert, stellt sich bei mir unwillkürlich das als kognitives Schema verinnerlichte Queen-Feeling ein. Das Queen-Feeling, das Queen-Erinnerungen weckt. Erinnerungen beispielsweise daran, wie ich Ende November 1991 (kurz vor dem Abi) mit Pfeifferschem Drüsenfieber schlaflos im Bette darniederlag, nächtelang Radio hörte, und der SDR dann plötzlich am frühen Morgen zum ersten Mal die Meldung von Freddie Mercurys Tod brachte. Das war ein Schock.
Das Queen-Feeling und die Queen-Erinnerungen haben sich bei mir über die Jahre immer sehr zuverlässig dann eingestellt, wenn mal wieder irgendein Schnipselchen aus Mercury-Studio-Takes von der gnadenlosen Verwertungsmaschinerie der Musikindustrie aufgegriffen und als fadenscheiniger, aber wirkungsvoller Rückfallköder auf die Queen-Fans alter Schule losgelassen wurde, auf diejenigen, die den „Mercury-Schock“ am 24.11.1991 selbst noch hautnah miterlebt haben. Denen er in Mark und Bein gefahren ist. Ich wette, dass kaum einer – selbst Leute, die Queen seinerzeit eher nur nebenbei gehört haben – sich der Magie solcher artifiziell im Studio zusammengeschnittener Queen-Revivals entziehen konnte. Und kann.
Und seien wir mal ganz ehrlich: Auch wenn ‚Let Me In Your Heart Again‘ letztlich nur eine B-Version von ‚Hammer To Fall‘ darstellt: Es ist immerhin eine B-Version von ‚Hammer To Fall‘, und es ist verdammt noch mal Queen. Queen, Queen, Queen. Man kann daran herummäkeln, aber man kann einfach nichts dagegen tun, dass es trotzdem über den Rücken kribbelt. Queen haben schon längst alles gesagt – und trotzdem ist die Magie noch da, sei sie auch aus noch so fragwürdigen Motiven und als kalkulierte Legitimation für ein x-tes Greatest-Hits-Album in der Manier „naturidentischer“ Aromastoffe synthetisiert worden.
Terry Pratchett schrieb einmal sehr treffend, es sei ein Gesetz, dass Audiokassetten, die länger als 14 Tage unbeobachtet in einem Auto herumliegen, sich automatisch in „Queen: Greatest Hits“ verwandeln. Wenngleich diese Feststellung einer empirischen Überprüfung vermutlich nicht standhält, so dürfte sie doch bei vielen, die in den 80ern in einer Queen-Umwelt sozialisiert wurden, intuitiv zu heftigem Kopfnicken führen. Das Album „Forever“ beweist, dass an dieser Intuition nach wie vor etwas dran ist: Egal, was an Songfragmenten mit Mercury-Gesang ausgegraben wird, es klingt immer irgendwie wie etwas, das gerade im Begriff ist, sich unbemerkt in „Queen: Greatest Hits“ zu verwandeln. Das zwar nie die Klasse der tatsächlichen „Queen: Greteast Hits“ erreicht, diesen aber verdammt nahe kommt. Weil die Magie da ist.
Kaufempfehlung für „Queen: Forever“? Natürlich nicht. Ob man die Scheibe trotzdem haben muss? Aber ganz bestimmt!